Neue Leitlinie erleichtert Diagnose einer Zöliakie

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Die Deutsche Gesellschaft für Gastroenterologie, Verdauungs- und Stoffwechselkrankheiten (DGVS) hat im Dezember 2021 eine aktualisierte Version der S2k-Leitlinie Zöliakie veröffentlicht. Ein wesentliches Ziel der Überarbeitung war die Vereinfachung der Diagnostik, um die bei dieser Erkrankung bestehende hohe Dunkelziffer zu reduzieren. Dafür gibt die Leitlinie praxisnahe Handlungsempfehlungen zur Diagnose, zum Monitoring sowie zur Therapie und Umsetzung der glutenfreien Diät.

Neben der oftmals vorherrschenden gastrointestinalen Symptomatik, kann sich eine Zöliakie durch extraintestinale Symptome sowie eine Vielzahl von Erkrankungen oder Befunden äußern. Darüber hinaus kann sie auch völlig symptomlos verlaufen. Da es kein Leitsymptom gibt und ihr klinisches Bild stark variiert, wird die Zöliakie auch als „Chamäleon der Gastroenterologie“ bezeichnet [1]. Die unterschiedlichen Ausprägungen sind der Hauptgrund, warum in Deutschland schätzungsweise rund 100.000 Menschen mit der Erkrankung diagnostiziert sind, während eine Dunkelziffer von über 800.000 Fällen vermutet wird [2].

Höhere Awareness erreichen

Ein vorrangiges Ziel der aktualisierten Leitlinie war somit die Erleichterung der Diagnostik bei Verdacht auf Zöliakie. Um die Awareness der Ärzte hierfür zu schärfen, wurde das Spektrum möglicher Symptome, Komorbiditäten und auffälliger Laborwerte, die auf die Erkrankung hinweisen können, klar definiert. Wie der Koordinator der Leitlinie, PD Dr. Michael Schumann, Charité, Berlin, erläutert, sollte man neben den häufigen Ausprägungen, wie dem Vorliegen eines Malabsorptions-Syndroms, Bauchschmerzen, häufiger Übelkeit und Meteorismus, noch bei anderen Symptomen hellhörig werden. „Dazu gehören beispielsweise eine unklare Anämie, Reifungsstörungen beim Kind sowie eine sich nicht einstellende oder verspätete Pubertät. Auch der unerfüllte Schwangerschaftswunsch bei einer Frau sollte in der zweiten oder dritten Diagnostikrunde durchaus eine Zöliakie-Serologie beinhalten. Dies gilt außerdem für unklar erhöhte Transaminasen, d.h. zu hohen Leberwerten, oder unklarem Knochenschwund. Zudem sind Autoimmunerkrankungen wie Typ-1-Diabetes zu nennen oder autoimmune Schilddrüsenerkrankungen.“

Eine Zöliakie sollte ebenfalls bei Personen mit einem erhöhten Risiko für die Erkrankung abgeklärt werden, wie Verwandte ersten Grades von Betroffenen sowie Menschen mit bestimmten chromosomalen Anomalien, z.B. Down- oder Turner-Syndrom. Diese Empfehlung gilt auch dann, wenn keine Symptome vorliegen. Die Vielschichtigkeit der mit einer Zöliakie assoziierten Klinik spiegelt sich in der Liste mit rund 80 Symptomen, Erkrankungen und Laborwertabweichungen wider, die mit Zöliakie assoziiert sind, und die der neuen Leitlinie zu entnehmen ist.

Serologischer Nachweis im Vordergrund

Generell sollte das Vorliegen einer Zöliakie bei länger als 4 Wochen anhaltenden gastrointestinalen und extraintestinalen Beschwerden in Betracht gezogen und abgeklärt werden, ebenso bei bestimmten, sonst nicht erklärbaren Erkrankungen und Laborbefunden. Erster Schritt zur Diagnosestellung ist eine Blutuntersuchung mit Bestimmung der IgA-Antikörper gegen Gewebstransglutaminase 2 (tTG-IgA) und des Gesamt-IgA im Serum. Bei auffälligem serologischem Befund folgt eine Ösophagogastroduodenoskopie (ÖGD) mit Histologiegewinnung. Die Diagnose gilt als gesichert, wenn die zöliakiespezifischen Autoantikörper positiv sind und die Histopathologie der Biopsien Marsh 2- oder Marsh 3-Läsionen zeigt. „Bei Kindern, die ein eindeutiges serologisches Ergebnis haben, also mehr als 10fach erhöhte Transglutaminase-Antikörpertiter aufweisen, ist hingegen keine Endoskopie nötig, wenn ein erneuter serologischer Test das erste Ergebnis bestätigt“, so Schumann. Gleiches gilt für Erwachsene, bei denen eine Kontraindikation für eine obere Endoskopie besteht. Um ein zuverlässiges Ergebnis zu ermöglichen, müssen sich die Patienten vor und während der serologischen/histopathologischen Diagnostik glutenhaltig ernähren – auch wenn sie bereits auf einer glutenfreien Diät waren. Für eine ausreichende Provokation sollte die Nahrung täglich drei 3 Monate lang ca. 10 g Gluten enthalten.

Glutenfreie Ernährung durch professionelle Beratung sichern

Den Leitlinien zufolge sollten sowohl symptomatische als auch asymptomatische Patienten bei gesicherter Zöliakiediagnose mit einer strikten, lebenslang glutenfreien Ernährung behandelt werden. Die täglich aufgenommene Glutenmenge sollte möglichst unter 10 mg liegen. Und das ist nicht viel: So nimmt man bei einer normalen, glutenhaltigen Ernährung im Schnitt 15 bis 20 g Gluten pro Tag zu sich. Als glutenfrei gelten Lebensmittel, die maximal 20 mg/kg (= 20 ppm) des Proteins enthalten. Entsprechen Lebensmittel beim Verkauf an den Konsumenten diesem Grenzwert, können sie mit der Bezeichnung glutenfrei oder gluten-free versehen werden. Zusätzlich haben Hersteller die Möglichkeit, auf Verpackungen das Symbol der durchgestrichenen Ähre anzugeben. Dieses Symbol der durchgestrichenen Ähre wird von den Zöliakiegesellschaften in Europa vergeben und gilt auf europäischer Ebene als Zertifizierung für glutenfreie Produkte.

Nachdem die Zöliakie diagnostiziert ist, empfiehlt die Leitlinie eine zeitnahe, professionelle Ernährungstherapie, die regelmäßig wiederholt werden sollte. „Das ist die zentrale Empfehlung im Therapieteil der Leitlinien, von der ich hoffe, dass sie eine breite Anwendung findet“, betont Schumann. „Hier sollte zukünftig auch die Kostenübernahme durch die Krankenkassen durchgesetzt werden können.“

Klare Empfehlungen zum Monitoring

Neu strukturiert wurden außerdem die Empfehlungen zur Verlaufskontrolle: Danach sollten bei Zöliakiepatienten regelmäßig Kontrolluntersuchungen zum klinischen Verlauf, der Adhärenz und zur Serologie stattfinden. Unter glutenfreier Diät sollten diese zunächst nach 6 Monaten, dann jährlich, erfolgen. Bei sehr stabilem Verlauf genügen Kontrollen alle 2 Jahre. Schumann zufolge stellen die Leitlinien auch fest, dass Verlaufsgastroskopien bei einer klinischen Besserung des Patienten, und wenn die Blutuntersuchung nichts Auffälliges anzeigt, eigentlich nicht sein müssen. „Das kann man dem Patienten ersparen“, so der Experte.

Neue Chancen für die frühe Diagnose beim Hausarzt

Die aktualisierte Leitlinie könnte auch in der Hausarztpraxis das Erkennen einer Zöliakie erleichtern. „Sie zeigt deutlich, dass das Spektrum an möglichen, mit Zöliakie assoziierten, Symptomen oder Erkrankungen sehr breit ist und bietet gleichzeitig Orientierung, indem sie konkrete Anzeichen benennt. Die genaue Benennung und die definitiven Empfehlungen können aus meiner Sicht dazu beitragen, der Zöliakie früher auf die Spur zu kommen“, so Dr. Petra Zantl, Fachärztin für Allgemeinmedizin in Konstanz. „Da die Zöliakie zumindest im ersten Schritt so leicht zu diagnostizieren ist, sollte man die Abklärung eigentlich großzügig mitlaufen lassen“, empfiehlt sie.

Infografik zum Download

Die wichtigsten Ergebnisse auf einem Blick

Quellenangabe

  1. Aktualisierte S2k-Leitlinie Zöliakie der Deutschen Gesellschaft für Gastroenterologie, Verdauungs- und Stoffwechselkrankheiten (DGVS), Dezember 2021, unter https://www.awmf.org/uploads/tx_szleitlinien/021-021l_S2k_Zoeliakie_2021-12_1.pdf
  2. Deutsche Zöliakie-Gesellschaft. Was ist Zöliakie, unter https://www.dzg-online.de/was-ist-zoeliakie.
  3. Wittkamp P. et al. Z Gastroenterol 2012. 50 – V36.
  4. Altobelli E. et al. 2017. Low-FODMAP Diet Improves Irritable Bowel Syndrome Symptoms: A Meta-Analysis. Nutrients, 9 (9).