Interview neue Zöliakie-Leitlinie Dr. Michael Schumann

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Die wichtigsten Empfehlungen der neuen Leitlinie Zöliakie und ihre Bedeutung für die tägliche Praxis

Interview mit dem Koordinator der Leitlinie PD Dr. Michael Schumann, Facharzt für Innere Medizin, Medizinische Klinik für Gastroenterologie, Infektiologie und Rheumatologie, Charité, Berlin

PD Dr. Michael Schumann im Interview

Im Dezember 2021 ist eine neue S2k-Leitlinie zur Zöliakie erschienen. Sie enthält detaillierte Empfehlungen zur Diagnose und Therapie der Autoimmunerkrankung. Welches die wichtigsten Neuerungen sind und worauf Ärztinnen und Ärzte in der täglichen Praxis achten sollten, damit Menschen mit Zöliakie zeitnah eine geeignete Therapie erhalten, erläutert Dr. Michael Schumann, Berlin, im Interview.

Warum war es notwendig, die Leitlinie zur Zöliakie neu aufzulegen? Gibt es neue Erkenntnisse?

Dr. Schumann: Es gibt neue Erkenntnisse zur Diagnostik, die eine graduelle Umstellung des diagnostischen Algorithmus zur Folge haben. Darüber hinaus sind einige weitere Änderungen vorgenommen worden: in der Diagnostik, die Pathologie betreffend, erhebliche Präzisierungen zur Umsetzung der glutenfreien Diät sind erfolgt und das Monitoring der Erkrankung wurde in seiner Abfolge beschrieben. Ferner wurden Empfehlungen aufgenommen, wie man mit der schweren Komplikation der Zöliakie, einer Refraktären Zöliakie, umgeht sowie ein Kapitel, das die Zöliakie von anderen gluten- oder weizenassoziierten Erkrankungen abgrenzt bzw. auch Grundzüge des Vorgehens bei diesen Erkrankungen beschreibt.

 

Welches sind aus Ihrer Sicht die wichtigsten Empfehlungen der neuen Leitlinie für niedergelassene Ärztinnen und Ärzte?

Dr. Schumann: Das größte Problem in Deutschland ist die Dunkelziffer bzw., dass viele Patienten mit Zöliakie nicht zeitnah diagnostiziert werden. Eine besonders wichtige Neuerung ist deshalb die Vereinfachung der Diagnostik, bei der nun die serologische Untersuchung im Fokus steht. Die diagnostische Genauigkeit der Serologie ist sehr gut. Man kann fast alle Zöliakie-Patienten mittels der Serologie identifizieren und es gibt nur wenige falsch-positive Befunde. Die Leitlinien präzisieren nun, unter welchen Kriterien man einen serologischen Test als sicher positives Ergebnis werten kann und wann – insbesondere bei Kindern – auf eine Endoskopie verzichtet werden kann. Darüber hinaus gibt die Leitlinie praxisnahe Therapie-Empfehlungen und Empfehlungen zur glutenfreien Ernährung, die die Ärzte für das Patientengespräch nutzen können. Außerdem wurde das Monitoring etwas besser strukturiert.

 

Wie kann die neue Leitlinie dazu beitragen, dass die Erkrankung schneller bzw. häufiger erkannt wird?

der Leitlinie wird deutlich gemacht, in welchen Situationen eine Diagnostik durchgeführt werden sollte. Denn die Zöliakie kann eine Vielzahl von Symptomen verursachen und lässt sich zudem durch Fehlen bestimmter Symptome nicht ausschließen. Die Symptomatik kann sehr variabel sein und Patienten können auch symptomfrei sein.

 

Wann sollen Ärztinnen und Ärzte in der täglichen Praxis eine Zöliakie in Betracht ziehen?

Dr. Schumann: Die klassische Ausprägung einer Zöliakie ist das Malabsorptions-Syndrom mit chronischem Durchfall und Gewichtsverlust – dann sollte natürlich sofort an eine Zöliakie gedacht werden. Weitere wichtige Anzeichen sind Bauchschmerzen, eine immer wieder auftretende Übelkeit und Meteorismus. Aber auch bei anderen Symptomen sollte man hellhörig werden. Dazu gehört eine unklare Anämie, ferner Reifungsstörungen beim Kind, eine sich nicht einstellende oder eine verspätete Pubertät. Der unerfüllte Schwangerschaftswunsch bei einer Frau sollte in der zweiten oder dritten Diagnostik-Runde durchaus eine Zöliakie-Serologie beinhalten. Dies gilt auch für unklar erhöhte Transaminasen, d.h. zu hohe Leberwerte oder unklaren Knochenschwund. Dann sind Autoimmunerkranken wie Typ-1-Diabetes zu nennen oder autoimmune Schilddrüsenerkrankungen.

 

Laut Leitlinie sollen auch symptomfreie Menschen mit erhöhtem Risiko für eine Zöliakie auf die Erkrankung untersucht werden. Welche gehören dazu?

Dr. Schumann: Dazu gehören Verwandte von Zöliakie-Betroffenen, insbesondere Verwandte ersten Grades und Patienten mit bestimmten chromosomalen Anomalien wie zum Beispiel Down-Syndrom und Turner-Syndrom. Bei diesen sollte eine Diagnostik eingeleitet werden, unabhängig von der Symptomatik. Dies gilt auch für Patienten mit bestimmten Labor-Anomalien wie eine Anämie oder erhöhte Transaminasen und eben bei dem bereits erwähnten unerfüllten Schwangerschaftswunsch.

 

Für eine korrekte Diagnose ist es wichtig, dass Patientinnen und Patienten sich glutenhaltig ernähren. Wie kann man die Zöliakie zuverlässig diagnostizieren, wenn bereits mit einer glutenfreien Diät begonnen wurde?

Dr. Schumann: Das ist ein häufiges Problem, da sich viele Menschen inzwischen glutenfrei ernähren. Möglich wäre dann, genetische Tests auf HLA-DQ2/HLA-DQ8 durchzuführen. Das ist allerdings nur eine Ausschlussdiagnostik. Das heißt einerseits, dass, wenn dieser Test negativ ist, eine Zöliakie sehr unwahrscheinlich ist. Wenn er allerdings positiv ausfällt, hilft diese Diagnostik nicht weiter. Man kann auch versuchen, mittels einer Transglutaminase-Serologie-Bestimmung eine Zöliakie aufzuspüren, wenn der Betroffene erst seit wenigen Monaten glutenfrei isst. Dann kann eine Restaktivität ein guter Hinweis sein. Fällt dieser Test aber negativ aus, ist eine Interpretation des Resultats schwierig. Dann muss sich der Patient Gluten reexponieren, das heißt, er muss wieder zwei Monate lang glutenhaltig essen. Wenn er bereits frühzeitiger Symptome entwickelt, kann die Diagnostik natürlich vorgezogen werden, um die Belastung für den Patienten so gering wie möglich zu halten.

 

Welches Vorgehen empfiehlt die Leitlinie bei der Verlaufskontrolle – hat sich hier etwas geändert?

Dr. Schumann: Das Monitoring ist etwas strukturierter beschrieben. Man findet Vorschläge zu Intervallen – zunächst sollte man Patienten etwa nach sechs Monaten sehen, dann jährlich. Wenn der Patient sehr stabil ist, kann man zweijährlich Kontrollen durchführen. Wichtig ist auch, dass die Zöliakie-Serologie, also die Überprüfung der Transaminasen, zur Verlaufskontrolle gehört. Sie sollte nach initial erhöhten Werte im Normbereich ankommen.  Die Leitlinien stellen auch fest, dass Verlaufsgastroskopien bei einer klinischen Besserung des Patienten und wenn die Blutuntersuchung nichts Auffälliges anzeigt, eigentlich nicht sein müssen. Das kann man dem Patienten ersparen.