Die Zöliakie ist eine komplexe immunvermittelte Erkrankung, deren Diagnostik ein präzises Zusammenspiel aus Serologie, Histologie und klinischer Beurteilung erfordert. Die European Society for the Study of Coeliac Disease (ESsCD) hat ihre Leitlinien umfassend überarbeitet, um die diagnostische Praxis zu schärfen und eine einheitlichere Versorgung zu ermöglichen.
Seit der Veröffentlichung der ersten ESsCD-Leitlinien im Jahr 2019 gab es wesentliche Fortschritte in der Diagnostik der Zöliakie (CeD) bei Erwachsenen. Die Leitlinien 2025 integrieren neue Evidenz, um diagnostische Strategien zu verfeinern, die Testgenauigkeit zu verbessern und die Qualität der klinischen Versorgung insgesamt zu steigern. Sie sollen Fachpersonen dabei unterstützen, Diagnosen schneller, sicherer und patientenzentrierter zu stellen.
Methodik:
Die Leitlinien wurden auf Basis systematischer Literaturrecherchen entwickelt und nach der GRADE-Methodik bewertet. Ein multidisziplinäres Expertengremium formulierte PICO-Fragestellungen, bewertete die Evidenz und finalisierte Empfehlungen über das Delphi-Konsensverfahren. Die Literaturqualität wurde mit AMSTAR-2 und QUADAS-2 bewertet.
Ergebnisse:
Die aktualisierten Leitlinien definieren mehrere relevante Neuerungen:
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Einsatz validierter serologischer Tests
Die Leitlinie betont den Einsatz validierter, hochperformanter IgA-anti-TG2-ELISAs mit hoher diagnostischer Genauigkeit. Die Bestimmung von Gesamt-IgA bleibt weiterhin empfohlen, um IgA-Mangel sicher zu erkennen.
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Konditionale No-Biopsy-Option für ausgewählte Erwachsene
Bei IgA-anti-TG2 ≥ 10 × ULN und bestätigender Zweitmessung kann die Diagnose in klar definierten Fällen ohne Dünndarmbiopsie gestellt werden. Diese Option soll invasive Eingriffe reduzieren, ohne die diagnostische Sicherheit zu mindern.
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Überarbeitete Biopsieprotokolle
Für alle Patienten ohne No-Biopsy-Indikation bleibt die Biopsie Goldstandard. Es werden mindestens vier Biopsien aus dem zweiten Duodenalabschnitt empfohlen. Bulbusbiopsien sind optional, sollen aber je nach klinischer Situation erwogen werden.
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Strukturierte Algorithmen für diagnostisch komplexe Situationen
Die Leitlinie definiert erstmals klare diagnostische Vorgehensweisen für:
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potenzielle Zöliakie,
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seronegative Zottenatrophie,
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Patienten unter glutenfreier Ernährung (GFD).
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Gezielter Einsatz der HLA-Typisierung
HLA-DQ2/DQ8 soll gemäß ausschließlich zur Klärung unklarer Fälle eingesetzt werden, nicht als Routineverfahren. Ein negatives Ergebnis schließt eine Zöliakie nahezu sicher aus.
Schlussfolgerung:
Die ESsCD-Leitlinien 2025 schaffen einen aktualisierten und klar strukturierten diagnostischen Rahmen für die Zöliakie im Erwachsenenalter. Sie bestätigen IgA-anti-TG2 als zentralen Ersttest und unterstreichen die Bedeutung hochwertiger serologischer Testsysteme. Die Dünndarmbiopsie bleibt der Goldstandard der Diagnostik, wird jedoch durch eine konditionale No-Biopsy-Option ergänzt, die bei streng definierten Hoch-Titer-Fällen angewendet werden kann.** Die HLA-DQ2/DQ8-Typisierung wird gezielt für diagnostisch unklare Situationen empfohlen, etwa bei bereits glutenfreier Ernährung oder seronegativer Zottenatrophie.
Die histologische Beurteilung erfolgt weiterhin anhand der Marsh-Klassifikation, während die Diagnostik unter glutenfreier Ernährung ein strukturiertes Vorgehen mit HLA-Testung und gegebenenfalls Glutenprovokation erfordert. Potenzielle Zöliakie und seronegative Schleimhautveränderungen müssen sorgfältig evaluiert werden, wobei alternative Ursachen konsequent ausgeschlossen werden sollen.
Auch besondere klinische Situationen wie Schwangerschaft, höheres Alter oder das Vorliegen weiterer Autoimmunerkrankungen verlangen Aufmerksamkeit, verändern jedoch das grundlegende diagnostische Vorgehen nicht. Insgesamt bieten die Leitlinien damit einen klaren, evidenzbasierten und praxisnahen Orientierungsrahmen für eine sichere und konsistente Diagnostik.
*Aufgrund der Lesbarkeit wird hier das generische Maskulinum verwendet. Die verwendeten Personenbezeichnungen beziehen sich – sofern nicht anders kenntlich gemacht – auf alle Geschlechter.
**Hinweis: Die deutsche S2k-Leitlinie empfiehlt bei Erwachsenen weiterhin die Dünndarmbiopsie als Standardverfahren. Die No-Biopsy-Option ist dort bislang nicht etabliert.
Quelle
Al-Toma, Abdulbaqi et al. “European Society for the Study of Coeliac Disease 2025 Updated Guidelines on the Diagnosis and Management of Coeliac Disease in Adults. Part 1: Diagnostic Approach.” United European gastroenterology journal, 10.1002/ueg2.70119. 26 Sep. 2025,
doi:10.1002/ueg2.70119