Klinische Anwendungen der Ernährungstherapie bei Reizdarmsyndrom (RDS)

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  3. Klinische Anwendungen der Ernährungstherapie bei Reizdarmsyndrom (RDS)

Die Rolle der Ernährungstherapie bei der Behandlung des RDS, ist in den letzten zehn Jahren mehr und mehr in den Fokus gerückt. Die Leitlinien der British Dietetic Association (BDA) und des National Institute for Health and Clinical Excellence (NICE) sprechen als erste Empfehlung bei RDS von einer gesunden und ausgewogenen Ernährung und einem gesunden Lebensstil.

Jüngere Studien haben untersucht, ob und wie spezifische Ernährungskonzepte wie z.B. die Low-FODMAP-Diät (Fermentierbare Oligosaccharide, Disaccharide, Monosaccharide und Polyole) (erste Studie veröffentlicht 2006), eine weizenfreie Ernährung (WFD) (erste Studie veröffentlicht 2012) und eine glutenfreie Ernährung (erste Studie veröffentlicht 2001) zu einer Minderung der RDS-bezogenen Symptome beitragen können. Zur klinischen Anwendung dieser Ernährungskonzepte gibt es eine Reihe ungeklärter Fragen.

Dieser Übersichtsartikel basiert auf einer Roundtable-Diskussion, an der im Mai 2017 Gastroenterologen und Ernährungswissenschaftler mit einem besonderen Interesse an therapeutischen Ernährungskonzepten teilnahmen, und möchte dem Fachpublikum einen praktischen Leitfaden für die Umsetzung dieser Ernährungsstrategien bei der Behandlung von RDS-Patienten an die Hand geben.

Diätetische Empfehlungen 

Das National Institute for Health and Care Excellence (NICE) empfiehlt eine Umstellung der Ernährungsgewohnheiten und des Lebensstils als erste Therapie bei RDS. 2016 erstellte die BDA einen aktualisierten Leitfaden mit evidenzbasierten Handlungsempfehlungen für Ärzte zur diätetischen Behandlung bei RDS. Empfohlen werden u. a. die Erhebung und Beurteilung der Aufnahme von alkohol- und koffeinhaltigen Getränken, Fetten, Flüssigkeit und scharf gewürzten Speisen, eine Umstellung der Ballaststoffzufuhr sowie ein Test auf Milch-/Laktoseintoleranz. Diese evidenzbasierten Handlungsempfehlungen der BDA haben abhängig von der jeweiligen Ernährungstherapie den Empfehlungsgrad C oder D.

Die Low-FODMAP-Diät 

Eines der zur Behandlung von Patienten mit RDS empfohlenen Ernährungskonzepte ist die Low-FODMAP-Diät. Hierzu liegen eine Reihe von systematischen Reviews und Meta-Analysen vor. Die erste Meta-Analyse, die 6 randomisierte kontrollierte Studien (RCT) und 16 nicht randomisierte Studien analysierte, zeigte die Vorteile dieses Ernährungskonzepts auf. Sowohl in den RCT als auch in den nicht randomisierten Studien erreichten Patienten unter einer Low-FODMAP-Diät einen statistisch signifikant niedrigeren IBS Symptom Severity Score (IBS-SSS), einen verbesserten Score des IBS Quality of Life (IBS-QOL) und eine reduzierte Symptomschwere bezogen auf Abdominalschmerzen, Völlegefühl und allgemeine Symptome. Ein kürzlich durchgeführter systematischer Review, der die Qualität von 9 RCT zum Low-FODMAP-Ernährungskonzept bei RDS untersuchte, wies jedoch auf ein hohes Biasrisiko (Risiko systematischer Fehler) dieser Studien hin. Weitere Bedenken betrafen die kleinen Stichprobengrößen der Studien, die Rekrutierung von Patienten aus tertiären Versorgungseinrichtungen sowie weitere Aspekte, die sich auf die Verblindung und die Wahl der Kontrollgruppe bezogen. Ein unabhängiger systematischer Review, in den 5 Studien zur FODMAP-armen Ernährung bei RDS einbezogen waren, stufte die Qualität der untersuchten Studien als Evidenzgrad II und den auf diesen Studien basierenden Empfehlungsgrad pro oder kontra Low-FODMAP-Diät bei RDS als gering (Empfehlungsgrad C) ein.

Es bleibt eine Reihe von offenen Fragen. Nach wie vor ist nicht geklärt, wie eine Low-FODMAP-Diät im Vergleich mit anderen Ernährungstherapien abschneidet, da bisher nur wenige direkte Vergleichsstudien durchgeführt wurden. Zusätzlich lag der Fokus der meisten Studien auf kurzfristigen Endpunkten, und es fehlt an Langzeitdaten. Die aktuelle Datenlage spricht für eine gute Adhärenz; in einer prospektiven Beobachtungsstudie lag die Adhärenz unter adaptierter Low-FODMAP-Diät nach einem medianen Beobachtungszeitraum von 16 Monaten bei 75 %, wobei 70 % der Patienten mit der erreichten Symptomverbesserung zufrieden waren. Im Zusammenhang mit der Low-FODMAP-Diät wurde eine Reihe von potenziellen Risiken identifiziert, darunter Fehl- oder Mangelernährung und die Auswirkungen auf die Darmbakterien.

Weizenfreie Ernährung (WFD) 

Ein gewisser Anteil an Patienten mit RDS-Symptomen leidet möglicherweise unter einer Weizensensitivität. In einer groß angelegten retrospektiven Studie an 920 Patienten, die die ROM-II-Kriterien zur Diagnose des Reizdarmsyndroms erfüllten, wurden bei 30 % der Patienten eine Weizensensitivität oder multiple Nahrungsmittelunverträglichkeiten (einschließlich Weizenintoleranz) festgestellt. Weizensensitive Patienten unter Ausschlussdiät entwickelten in einer doppelblinden, placebokontrollierten Belastungsphase nach einer Weizenprovokation (in Kapselform) RDS-Symptome. Bezogen auf allgemeine Symptome, Völlegefühl, Abdominalschmerzen und Stuhlkonsistenz zeigte sich im Anschluss an die Weizenprovokation ein signifikanter Anstieg der Scores der Visuellen Analogskalen (VAS). Eine unabhängige Studie zeigte mithilfe der konfokalen Endomikroskopie bei RDS-Patienten nach einer Weizenprovokation dramatische Sofortreaktionen der Darmschleimhaut auf.

In einer prospektiven Studie an 200 Patienten aus der oben genannten retrospektiven Studie an 920 Patienten hielten 74 % der Patienten beim Follow-up (medianer Beobachtungszeittraum 99 Monate) weiter eine strikte WDF ein. 10 % der Patienten verzichteten komplett auf Weizen, jedoch nicht auf andere glutenhaltige Lebensmittel wie Gerste und Roggen, während 64 % der Patienten eine strikte GFD befolgten. Von den 22 Patienten, die einer Weizenprovokation zustimmten, reagierten 20 auf die Weizenexposition. Dies zeigt, dass eine Weizensensitivität mit hoher Wahrscheinlichkeit persistierend ist. Zu den Risiken einer WFD liegen derzeit keine belastbaren Daten vor. Da Patienten unter WFD häufig eine GFD beginnen, könnte man annehmen, dass die Risiken mit denen einer GFD, welche nachstehend erörtert wird, vergleichbar sind.

Die glutenfreie Ernährung (GFD)

Das Phänomen, dass Patienten ohne ärztliche Zöliakie-Diagnose nach dem Verzehr von glutenhaltigen Lebensmitteln Symptome entwickeln, wurde bereits in den 1980er Jahren beschrieben. In jüngerer Zeit ist die Rolle der GFD bei RDS in einer Reihe von Studien mit Schwerpunkt auf Patienten mit RDS-D untersucht worden. Mehrere Studien wiesen eine Reduktion des IBS-SSS sowie auf die Stuhlgänge bezogene Verbesserungen nach und belegten damit die Vorteile einer GFD für diese Patientengruppe. Eine Studie zeigte auf, dass die Wirkung einer glutenhaltigen Ernährung (GCD) auf die Stuhlgänge bei HLA-DQ2/DQ8-positiven Patienten größer war als bei HLA-DQ2/DQ8-negativen Patienten. Zudem wurde bei HLA-DQ2/DQ8-positiven Patienten eine erhöhte Darmpermeabilität beobachtet. Dies zeigt, dass Gluten bei diesen RDS-D-Patienten die intestinale Barrierefunktion beeinträchtigen kann. In einer anderen Studie wurde bei RDS-D-Patienten nach 6 Wochen unter GFD eine Verbesserung des IBS-SSS beobachtet, mit einer vergleichbaren Reduktion des Scores bei HLA-DQ2/DQ8-positiven und -negativen Patienten. 72 % der Patienten mit einem klinischen Ansprechen befolgten auch 18 Monate nach Ende der Studie eine GFD und beabsichtigten, die Diät fortzuführen.

In mehreren anderen Studien wurde nach Beginn einer GFD und anschließender Wiedereinführung von Gluten eine statistisch signifikant schlechtere Symptomkontrolle versus Placebo beobachtet, was auf eine wahrscheinliche Glutensensitivität dieser Patienten hindeutet. In Verbindung mit einer GFD existiert eine Reihe von potenziellen Risiken, einschließlich Bedenken im Hinblick auf die ernährungsphysiologische Adäquatheit der GFD und ihre Wirkung auf die Darmbakterien. Auch die mit einer GFD verbundenen Kosten sind ein mögliches Problem.

Zusammengefasst zeigt die aktuelle Datenlage, dass es keine universelle Ernährungsempfehlung für RDS-Patienten geben kann und unterstreicht die zugrunde liegende Heterogenität dieser Krankheit. Fragen zum ursächlichen Auslöser der RDS-bezogenen Symptome bleiben offen. Unabhängig von den Pathomechanismen scheint es jedoch unterschiedliche Belege zu geben, die für die Anwendung aller dieser Ernährungskonzepte in der klinischen Praxis sprechen. Diese Ernährungstherapien sollten von einem qualifizierten Ernährungsberater/Ernährungsmediziner mit einem besonderen Interesse am RDS eingeleitet und begleitet werden. Der Ernährungsberater/Ernährungsmediziner sollte eine detaillierte Anamnese erheben und den Patienten in den Entscheidungsfindungsprozess und die Wahl des jeweiligen Ernährungskonzepts einbinden.